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" Du spinnst doch!" - Der Autobahnblues

Mein Herz schlägt in zwei Welten, der Weg dazwischen ist eine Autobahn.


Wir kennen diesen Moment fast alle.

Das Auto ist geladen, vollgetankt, die Landeskarte liegt bereit und die Spannung steigt. Egal, wohin uns die kommende Reise führt, sind wir erfreut, nervös, aufgeregt, es hängt von der Situation ab. Wir wissen es, wir kehren wieder nach Hause zurück.


Doch, wie ist es, wenn man das Zuhause an zwei Orten spürt?


Seit 25 Jahren bin ich unterwegs. Und Manche sagen jedes Mal: " Du spinnst!"

Meine Heimatstadt liegt in Osttschechien, über Litomyšl habe ich schon im Blog berichtet. Nach der Naviberechnung sind es knapp 1 000 Km. Damals in 15 heute in 9 Stunden im Durchschnitt machbar.


Die letzte Reise liegt ein paar Tage zurück. Ich sass 16 Std. im "Hope", meiner Škoda Fabia, meinem Schutzengel auf 4 Rädern. Und da gab es echt viel Zeit für`s Nachdenken zu diesem Beitrag...

Beim Packen plagen mich Sorgen um die Zollvorschriften in der Schweiz. Bis zur Grenze bewege ich mich in der EU - Zone. Es fängt damit an, dass Verwandte das Selbstgebrannte für den Sohn, Partner und mich selbst als Geschenk bringen. "Ist doch nur was Kleines." Die Eier der Heimzucht, das Rauchfleisch, das Schweineschmalz etc.

Meine Hope bietet viele Möglichkeiten, das Alles schön zu verstecken. Doch ich habe meine Erfahrungen gemacht. Darum schaue ich für genügend Luft in den Pneus.

So, die Dinge verstaut, im Thermokrug Kaffee aufgegossen, Sandwiches und Früchte auf dem Beifahrersitz plaziert, eine Reihe CDs ausgewählt, Motoröl und Scheibenwischwasser nachgefüllt.

Die letzte Geräusch - Kontrolle, Kuss und Umarmung meiner Mutter. Ich verlasse mein Zuhause in Tschechien und fahre nach Hause in die Schweiz...

Die ersten Kilometer ohne Autobahn sind echt nahrhaft. Die Verbindung Ost - West und umgekehrt, passiert genau hier. Also heisst es - schleichen. Mache ich nicht mit, fahre um 21.00 Uhr los. Sollte ruhiger sein.


Schlaglöcher, dass du drinn ruhig eine Kuh verstecken könntest, Spinner, die um jeden Preis überholen müssen, Traktorfahrer, die mit 40 Km/h von der Beiz nach Hause tuckern, alles ist möglich und ich bin eine von euch...

Nach 65 Km die ersehnte Autobahn. (Ausbau des neuen Abschnites wird durch eine Gründstück - Besitzerin seit 20 Jahren verzögert.)


Nach 3,5 Stunden Fahrt im tiefen Dunkel, so wenig bewohnt sind die letzten 150 Km, erreiche ich die Staatsgrenze und bei der letzten "Benzina" putze ich die Frontschutzscheibe und schaukle nach dem Nachtanken in die Richtung Shop.

(Den Weg Bern - Prag schaffe ich mit einer Tankfüllung. Umgekehrt, wegen der Diesel Qualität, unmöglich.) Hier stellte ich auch fest, dass die Autobahnmarke für 12 Tage nicht mehr gülltig war. Na ja, ich bin schon weg.


Es sind immer noch die weiteren 150 Km, welche mich von meinem bekannten Pause - Platz trennen. Die CDs kann ich nicht mehr hören, alles nervt. Die Augen brennen, aber ich soll doch weiter! Da war die Baustelle um Nürnberg, die mache ich im Morgenverkehr sicher nicht mit! Gott sei Dank, ist die Mehrheit der LKWs mit dem Nachtfahrtverbot ruhiggestellt.

Also weiter. Fenster auf, frische Luft rein. Antenne Bayern 3 spielt irgendwelches G-Dur ab und ich fühle mich wie auf Moll. (Ein Tschechischer Begriff für Betrunken.)

Meine Blase meldet sich nach dem aufmunternden Pulvercafé sehr stark. Was habe ich zur Auswahl? Es ist mittelrweile 1.00 Uhr und ich muss doch noch bis Hohenlohe. Genau die Hälfte meiner " Haustüre- Haustüre" Fahrt.

Alles nochmal überholen? Dazu kommt die Vorstellung des verlassenen, mit Chromstahl ausgekleideten WC - Häuschen, welche als Hintergrund für eine Horrorszene gut dienen könnte. Nix da! Aber: " Haben sie mal die Beine beim Fahren so zusammen geklemmt, dass das Unglück nicht passiert?

Abgelenkt mit der Methode "Strich - Strich -Strich" schaffe ich es, an der Raststätte anzukommen.

Oh nein! Die Blase fragt nicht, ob ich 70 Cent für das Glückskarussel der Toiletten - Anlage bereit habe. Sie will es jetzt und sofort.

Geschafft! In dem Währungschaos fische ich eine Münze aus und Sch... es ist ein Südafrikanischer Rand! Das hat man davon, wenn frau den A... nicht ruhig halten kann.

Später dann, doch erfolgreich, mit Reinigungstüchern gewaschen und Mundspülung

die Zähne scheingeputzt, bin erleichtert. Den dritten Gutschein, einen "Pipibon" stecke ich in die Tasche. "Kein Bock jetzt auf eure Bockwurst. Ich will schlafen."

Meinen Nachtruheplatz habe ich mir zwischen den LKWs ausgesucht, doch mit der Hoffnung, dass sie mich beim Morgenaufbruch nicht gleichzeitig mitnehmen...

Der vorgewärmte Beifahrersitz ist bald kalt und nicht mehr so bequem.


Es ist früh, sehr früh und ich stehe auf dem riesigen Abstellplatz fast alleine.

Das Schminken im Rückspiegel ist nicht so effizient, aber steigert das Selbstbewusstsein und senkt das Risiko, dass mir der Führerschein weggenommen wird. Ich sehe nicht so zurechnungsfähig aus. Weiter geht es. Meinte ich wenigstens. Die Hälfte meiner Reise geschafft und die Waage kippt. Wehmut und Trauer wechselt zu Vorfreude und Neugier.

Immer wieder an dieser Stelle.

Aber:

Sie rollen und rollen. Wie die Perlen auf einer Schnur. Die vom Osten nach Westen und vom Westen nach Osten. Mit der gleichen Geschwindigkeit, mit dem gleichen Bild vor den Augen. Die Elefanten der Strasse. Die Zeugen der Bewegung. Die Bestätigung, dass die Welt wirtschaftlich in Ordnung ist. Sagt man.

Sobald es sich eine Möglichkeit ergibt, nach der langen "Polonaise", gibt einer der Giganten Gas um wenigstens einen der Gleichgesinnten zu überholen und blockiert für einige Zeit die Kolonne hinter ihm.

Was für ein Gefühl muss es sein, wenn er wieder einspuren kann und das Bild vor ihm für die nächste Kilometer sein Sujet und Kennzeichen geändert hat.

Mein Hope ist ein Turbodiesel😉 und hat was drauf. Doch mit der Ladung, die ihn wie eine Frosch aussehen lässt, zwingt mich, den Blinker nach rechts zu betätigen...und schon bin ich gefangen!

Die "Tagesfliegen" in der Form von Audis, Merc, BMWs "zwinkern" von hinten:

"Hey, weg da, ich komme!" und ich habe keine Chance mit allen diesen Würsten, Becherovkas und Pilsner so schnell zu sein. Also Kopf einziehen und wieder einspuren.


Bei der letzten Tankstelle löse ich den Pipibon für einen Capuccino ein und die Aufregung steigt. Die Grenze naht. Tausende Ausreden flitzen mir durch den Kopf..

Leer! Frei! Menschenlos!

Es gibt grössere Verbrecher als eine Mohnkuchenschmugglerin. Uff!

Ich habe nun die letzten 100 Km vor mir und die Welt ringsum sieht vertraut aus.

Jakobshalle, Egerkingen, Oensingen, Wangen an der Aare, Münsingen...

Stau, Stau, Stau... das Heimatgefühl verbreitet sich in meinen Adern.

Ich bin zu Hause angekommen.

Die Koffer und Geheimfächer, Briefkasten, Kühlschrank, Abfalleimer wurden komplett und das Glas der " Geschafft" Becherovka nur teilweise geleert.

Ich falle ins Bett und denke." Regina du spinnst doch!"

Im Schlaf bremse und kupple ich noch.

Doch die nächste Reise ist gepannt und wenn mich Jemand fragt wohin es geht, sage ich: " NACH HAUSE"


Ich habe viele Leute in Europa getroffen. Ich bin sogar mir selbst begegnet"

James Baldwin


PS: Es handelt sich ausschliesslich um meine persönliche Wahrnehmung, die Feststellungen und Situationen sind gegen Niemanden und Nichts gerichtet.

Die Fotos wurden gefahrlos geschossen.


EUCH ALLEN: GUTES REISEN!!!


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